Seit Mai 2015 erstatteten bereits mehr als 100.000 Menschen in China Strafanzeige gegen den ehemaligen chinesischen Staatschef Jiang Zemin. Die Begründung: Er habe die brutale Unterdrückung von Falun Gong sowie die Inhaftierung und Folterung von Falun Gong-Praktizierenden befohlen.
Kürzliche Veränderungen im chinesischen Recht ermöglichen es nun, dass Chinas Bürger als Anzeigeerstatter in Straffällen auftreten können. Viele Falun Gong- Praktizierende üben nun dieses Recht aus, Strafanzeige gegen den ehemaligen Diktator zu erstatten.
Der ehemalige kanadische Senator Consiglio Di Nino sagte zu dieser Entwicklung, dass dies „ein mutiger erster Schritt ist, der nicht nur für Falun Gong, sondern für ganz China von Vorteil sein wird“. Den Anstieg der Strafanzeigen innerhalb von kurzer Zeit auf 100.000 betrachtet er als einen „Erdrutsch“. Die Falun Gong-Praktizierenden seien die ersten, die diese Strafanzeigen erstatten. „Was diese Leute machen – wenn man berücksichtigt, wie China diejenigen behandelt hat, die es in der Vergangenheit hinterfragten: mit Verfolgung und in Wirklichkeit mit Tod – dann sind dies sehr mutige Menschen“, so Di Nino.
Ein erster mutiger Schritt in Richtung Freiheit
Di Nino hofft, dass andere, die die Freiheit wollen, ihrem Beispiel folgen. „Es ist keine Frage, dass sie ein Zeichen oder ein Musterbeispiel für andere Chinesen zur Nachahmung sind. Es sind immer ein paar nötig, die widersprechen, um andere aufzufordern. Das ist nicht leicht. Manchmal ist es am einfachsten, den Mund zu halten, doch je mehr wir den Mund halten, umso weniger erreichen wir für die Menschlichkeit.“
Jiang Zemin wird neben anderen Verbrechen der unrechtmäßigen Inhaftierung, des Entzugs der den Bürgern verfassungsmäßig zustehenden Glaubensfreiheit und des Machtmissbrauchs angeklagt. Gefordert wird die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Diktators. Die Strafanzeigen enthalten genaue Angaben über die rechtswidrigen Festnahmen, die Verurteilungen zu Zwangsarbeit und die entsetzlichen Bedingungen, unter denen Falun Gong-Praktizierende inhaftiert und gefoltert wurden.
In Bezug auf dieses neue Gesetz meinte Di Nino: „Ein Versuch, erst einmal zu besänftigen, ist der erste Schritt, doch die Freiheit ist der zweite Schritt. Der erste Schritt ist sehr wichtig, doch der zweite ist entscheidend.“
Obwohl er der chinesischen Regierung wegen ihrer Vorgeschichte im Hinblick auf die Menschenrechte skeptisch gegenübersteht, hofft er, dass die Veränderungen im chinesischen Rechtssystem nicht nur symbolisch, sondern ein echter und ehrlicher Ausdruck für künftige Veränderungen sind.
Der Hintergrund
Am 20. Juli 1999 initiierte Jiang die Verfolgung von Falun Gong. Er schuf eine außerhalb des Gesetzes agierende Dienststelle, das Büro 610, mit der Befugnis, Polizei und Justizwesen zu übergehen, um seine Anweisungen auszuführen. In den vergangenen 16 Jahren wurde der Tod infolge von Folter von mehr als 3.800 Falun Gong-Praktizierenden bestätigt. Die tatsächliche Todesziffer liegt ungleich höher.
Julia Wikström