Die traditionelle chinesische Tuschemalerei ist nicht wie der westliche Realismus zu betrachten und zu verstehen. Die Art "Realismus" die in den chinesischen Gemälden gesucht wird, ist nicht die objektive Wiedergabe des Äußeren, so wie es mit dem Auge wahrgenommen wird, sondern mehr der Ausdruck des subjektiven Erkennens oder der Einsicht.
Die chinesische Tuschemalerei verzichtet weitgehend auf die Darstellung von Schatten und vermittelt dadurch dem Bild nicht den Eindruck von Dreidimensionalität. Die Pinselstriche beruhen auf einer intensiven, meditativen Vorbereitung, die sich dann mit schnellen einfachen Zügen durch den Pinsel auf dem Papier manifestieren. Somit wird das Wesen des Motivs mit einer tiefen zugrundeliegenden Philosophie erfasst. (Im Gegensatz dazu bemüht sich die traditionelle westliche Kunst, Ausdruck durch feine, genau herausgearbeitete Darstellung zu verleihen.)
Die Landschaftsmalerei wurde in der chinesischen Geschichte schon immer von Literaten und Beamten hochgeschätzt, denn sie besitzt die Fähigkeit, uns von den Ärgernissen der materiellen Welt in eine friedvolle sorgenfreie Sphäre zu versetzen. Aus dem großen Meer der Blumen und Bäume erkoren chinesische Gelehrte vier dazu aus, die "Vier Edlen" genannt zu werden. Diese sind: die Pflaume, die Orchidee, der Bambus und die Chrysantheme. Dem Pflaumenbaum schrieb man Zurückhaltung und Beständigkeit zu, da er sogar bei strengem und kaltem Wetter gedeiht. Trotz Einsamkeit und Abgelegenheit verschenkt die Orchidee ihren subtilen Duft in verlassenen Täler, der Bambus steht für seine Aufrichtigkeit und die Chrysantheme widersteht auch den Angriffen des Frostes. So wird die chinesische Tuschemalerei in ihrer Formensprache zu einem symbolischen Gedicht. Allgemein anerkannt ist heute, dass die Techniken der "Vier Edlen" die Grundlage der chinesischen Malerei darstellt.